„Nach unserer Ansicht gibt es keine Diskriminierung.“ Kontinuitäten einer Sündenbockpolitik

Anständige Zigeuner zu töten, das versaut bloß die Message.

sagt ein Polizist zu einem anderen. Die beiden stehen in einem von Schüssen durchlöcherten Haus einer ermordeten Roma-Familie. eine Schlüsselszene des Films Csak a szél (Just the wind“) von Benedek Fliegauf, der auf der Berlinale 2012 ausgezeichnet wurde und die Zeit einer Mordserie in den Jahren 2008 und 2009 nachzeichnet, zu deren Höhepunkt vier mittlerweile verurteilte Täter ein Familienhaus in Brand steckten und auf die aus dem Feuer Fliehenden schossen – darunter ein Vater mit seinem fünfjährigen Kind im Arm. Das European Roma Rights Center (ERRC) weist für den Zeitraum 2008 bis 2010 dreizehn weitere, einander ähnliche Gewalttaten an und bilanziert dabei mindestens zwei weitere Tote.

Ignoranz der Behörden
Besorgniserregend sind nicht nur die Taten an sich, sondern auch der behördliche Umgang. Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr wollten den Fall als Gasexplosion abhaken, für die die Familie selbst verantwortlich gemacht wurde. einer der Polizisten habe sogar auf die Fußspuren uriniert, Patronen hülsen wurden übersehen. Geschehnisse wie diese zeugen von einem immanenten Rassismus in staatlichen Gremien und Organen, ebenso wie im öffentlichen Leben.

Ein altes Problem
62 Prozent der UngarInnen geben laut Umfrage an, sie hielten Roma für „kriminell veranlagt“. Die rechtsextreme Partei „Jobbik“ holt hier die WählerInnen ab. Doch dieser beängstigende Antiziganismus ist keine Haltung, die sich erst in jüngerer Zeit entwickelte. Laut einer Studie von 1975 lehnten schon damals 75 Prozent der ungarischen Bevölkerung Roma ab. Das Spektrum der vorgeschlagenen „Lösungsmöglichkeiten der Zigeunerfrage“ reichten vom Entzug der Hilfeleistungen bis zur physischen Vernichtung der ungarischen Roma. Schon im Realsozialismus war die Romafeindlichkeit etwas Allgegenwärtiges. Nach der Wende steigerte sich der Antiziganismus und seine Rhetorik paarte sich mit unverhohlen biologistischen Rassismen. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Äußerung des Dramatikers und rechtsextremen Politikers István Csurka:

Wir können nicht länger ignorieren, dass die Fäulniserscheinungen genetische Ursachen haben. Es muss erkannt werden, dass sozial benachteiligte Gruppen, bei denen die harten Grenzen der natürlichen Auslese nicht funktionieren, viel zu lange unter uns gelebt haben.

Csurka, vornehmlich bekannt durch seine antisemitischen Äußerungen, war 1992 Abgeordneter der damaligen Regierungspartei Magyar Demokrata Fórum (MDF) und später Vorsitzender der rechtsextremen Ungarischen Wahrheits- und Lebenspartei (MIEP). Kurz vor seinem Tod im Februar 2012 wurde er sogar als künstlerischer Leiter eines renommierten Budapester Theaters gehandelt. Er ist nur einer der Proponenten einer politischen Richtung, die Ungarn weit nach rechts führte.

Die Garden: Schwarze Westen, ungarisches Wappen
Diesen traditionell tief in der ungarischen Gesellschaft verankerten Antiziganismus greift die Partei Jobbik – ihre schlechtesten Umfragewerte liegen derzeit bei etwa 15 Prozent – auf, schürt ihn und erreicht sogar lokale Mehrheiten. Die Strategie, das Feindbild von den Juden auf die größte ungarische Minderheit, die Roma, umzulenken, geht auf. Im codierten Sprachgebrauch hält sich der Antisemitismus hartnäckig bis weit jenseits der Jobbik – vor allem im Kontext der wirtschaftspolitischen Debatte tauchen bereits totgeglaubte Formen eines sozialen Antisemitismus wieder auf. Der Antiziganismus erweist sich zusätzlich in seiner alltäglichen Militanz. Die Jobbik-nahe Magyar Gárda (Ungarische Garde) veranstaltet seit 2007 aufmärsche in Dörfern. In der nationalsozialistischen Aufmachung der ungarischen Nyilaskeresztes (Pfeilkreuzler) versammeln sie sich vor den Häusern dort lebender Roma. Obwohl die Garde 2009 gerichtlich verboten wurde, ist sie weiterhin unter immer neuen Namen wie „Neue Ungarische Garde“ oder „Bürgerverein Schönere Zukunft“ weiterhin aktiv. Während die Jobbik und ihre Garden den harten, rechtsextremen Kern bilden, kokettieren Personen im Umfeld von Orbáns regierungspartei Fidesz mit antiziganistischen Stereotypen – beispielsweise was das „kriminelle Potenzial“ der „Zigeuner“ betrifft. So schreibt etwa der eng mit Orbán befreundete und für die rechtskonservative Tageszeitung „Magyar Hírlap“ tätige Journalist Zsolt Bayer:

Sogar Millionen [weißer] Ungarn werden ausgeraubt, zusammengeschlagen, erniedrigt und umgebracht – tagtäglich – von den Zigeunern, die neben ihnen leben.“ Als Mitorganisator einer Demonstration gegen die EU unter dem Motto „Ungarn wird keine Kolonie werden“, folgert Bayer: „Wenn die Zigeuner Community nicht selbst einen Weg findet, sich von dieser Mentalität zu säubern, dann muss eine Vereinbarung gefasst werden, dass es unmöglich ist, mit ihr zu koexistieren.

Staatstragende Relativierung
Roma werden tagtäglich im Alltag, in Schule und Arbeit, und sogar aus Siedlungen ausgeschlossen, wo angebliche „echte Ungarn“ leben. Dabei darf jedoch natürlich nicht übersehen werden, dass auch beim Antisemitismus eine zunehmende Heftigkeit festzustellen ist. Ein Zeichen dafür sind etwa Schmierereien am Budapester Holocaustmahnmal, Schweinefüße am Denkmal von Raoul Wallenberg, der zahlreiche ungarische Jüdinnen und Juden vor dem Zugriff der Nationalsozialisten und der Deportation bewahrte, oder auch Friedhofschändungen wie etwa im Juli 2012 in Kaposvár. Ebenfalls im Sommer desselben Jahres veröffentlichte das rechtsextreme Portal kuruc.info die Kontaktdaten von TeilnehmerInnen eines Flashmobs vor dem Haus des überführten Kriegsverbrechers Lászloó Csatáry und setzte auf selbige ein Kopfgeld aus. Mit ähnlichen Methoden arbeiten auch andere Hetzportale wie beispielsweise deres.tv. 50 mitglieder des US-amerikanischen Kongresses wandten sich mit der Bitte an Orbán, sich gegen diese antisemitische Hetze zu positionieren. Der Ministerpräsident stritt seine Verantwortung ab und spielte den Ball zurück, indem er forderte, den in den USa befindlichen Server von kuruc.info sperren zu lassen, denn dieser sei das Zentrum dieses ungarischen Antisemitismus. Ein Zitat des Staatssekretärs für Regierungskommunikation, Zoltán Kovács, bringt den Unwillen der Regierung gegen diese Diskriminierung, die bereits zahlreiche Menschenleben gefordert hat, anzugehen, erschreckend auf den Punkt:

Nach unserer Ansicht gibt es keine Diskriminierung gegen Roma in Ungarn.

Kommentar veröffentlicht im KRANICH | Die Zeitung des Salzburger Friedensbüros (Herbst 2013)

pfeilkreuzkrone

Quelle: Andreas Koob, Holger Marcks, Magdalena
Marsovszky: Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn. UNRAST-Verlag,
Münster 2013. S. 63-72.

Ein Kommentar zu „„Nach unserer Ansicht gibt es keine Diskriminierung.“ Kontinuitäten einer Sündenbockpolitik

Hinterlasse einen Kommentar