Tanzen für’s Vaterland

Sperrgebiet, Vermummungsgebot für überhaupt eh alle, die sich in der Wiener Innenstadt am Tag des „Akademikerballs“ aka WKR-Ball bewegen, Zutrittsverbot für Journalistinnen und Journalisten. Und die Polizei samt Innenministeriums-Chefin schweigt, ebenso die Regierung – an der immerhin mit der SPÖ als Regierungspartnerin eine Partei beteiligt ist, die sich selbst in ihrer Tradition als antifaschistisch versteht.
Auf Facebook tauschen immer mehr ihr übliches Profilfoto mit einem Foto des vermummten Selbst, um gegen Beschneidung von Grundrechten und Pressefreiheit zu protestieren – plakativ und öffentlichkeitswirksam, doch von den Verantwortlichen nach wie vor ungehört.
Ich stelle nun eine Frage, die mir im Kontext dieser Ungehörigkeiten schon seit Längerem auf der Zunge brennt: Korporierte Deckelträger, nationalistische „Leistungsträger“, rechtsextreme Ideologen, Neofaschisten, Neonazis und führende FPÖ-Kader bekommen Jahr für Jahr – 2012 sogar am Holocaust-Gedenktag – eines der repräsentativsten Gebäude der Republik Österreich für ihr internationales Netzwerktreffen respektive Ball zur Verfügung gestellt. Stellt man sich diesen „Leistungsträgern“ in den Weg oder übt man Kritik, fühlen sich Strache und Co. als „neue Juden“, als „von Linksfaschisten verfolgt“, vom „Mob linker Zecken bedroht“ und in ihren Freiheits- und Grundrechten eingeschränkt. Ballbesucher, die Kontakte zu Küssel und anderen Proponenten der europäischen rechtsextremen Szene haben bzw. hatten, fordern für sich Grund- und Menschenrechte ein, während sie selbige den KritikerInnen absprechen. Gut, an sich nichts Neues. Bedenklich ist, dass die Exekutive der demokratischen Republik Österreich dem Geschrei dieser Rechtspopulisten, Rechtsextremen und Neonazis nachgibt und aufgrund fadenscheiniger Sicherheitsargumente einen größeren Bereich der Wiener Innenstadt abriegelt als anlässlich des Besuchs George W. Bushs.
Wenn tatsächlich ein so großes Sicherheitsrisiko besteht, will ich Zahlen wissen: wie viele der DemonstrationsteilnehmerInnen aus dem letzten Jahr waren tatsächlich gefährlich, haben mit Steinen oder sonstigem um sich geworfen, haben die BallbesucherInnen bedroht oder Gegenstände beschädigt? Doch diesbezüglich hört man außer Allgemeinplätzen nicht viel. Lässt vermuten, dass das Sicherheitsrisiko demnach bei weitem nicht den Maßnahmen entspricht. Kurze Zwischenfrage: Weiß man in der Causa Konecny schon, wer die Täter waren?

Währenddessen tanzen in den Räumlichkeiten der Hofburg Personen, die eine Ideologie vertreten, die alleine in Deutschland seit der Wiedervereinigung mehr als 180 Menschen das Leben gekostet hat – eine Ideologie, die genau jene Vorgehensweise der Exekutive zur Staatsdoktrin erheben möchte: Beschneidung der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Grundrechte. Diesen mehr als 180 Menschen wurde nicht das Ballkleid zerrissen. Diese 180 vergleichen sich nicht mit den Opfern der größten menschlichen Katastrophe unserer Zeit, weil sie nicht ungestört an einem Ball teilnehmen können, der als größtes Vernetzungstreffen der europäischen Rechtsextremen gilt. Diese 180 können auch keine Vergleiche mehr anstellen. Diese 180 wurden ermordet aus Hass, Intoleranz, chauvinistischer Überheblichkeit und antidemokratischer Gesinnung. Eine Gesinnung, der auch die Tanzenden in der Hofburg nahe sind.

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